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unsere Geschichte 4 Tage als Hörspiel auf www.neuvertonung.de
Vier Tage
Als ich das Tagebuch meiner Mutter fand, war die ganze Scheisse schon mindestens ein Jahr her. Hier oben bedeutet Zeit nicht viel, insofern kann ich es leider nicht genauer sagen. Aber ein Jahr sollte wirklich in etwa hinkommen.
Die Zeilen, die sich mir anboten, wollten regelrecht endlich ausprechen, was sie seit Jahren für Geheimnisse in sich tragen. Erst war ich noch zurückhaltend, denn es ist gewiss nicht undelikat, das Tagebuch seiner eigenen Mutter zu lesen. Erst recht nicht, wenn diese tot ist. Aber gerade der Umstand, dass ich nie die hintergründe ihres Todes erfahren hatte haben letztendlich dafür gesorgt, dass ich meine Hemmungen über Bord warf und es letztendlich gegen jede innere Stimme gelesen habe.
Vieles glich Tagebüchern anderer Frauen, mal davon abgesehen, dass meine Mutter ihre Einträge nicht datierte. Doch dann, es war wohl eine ziemlich lange Zeit seit dem letzten Eintrag vergangen, traf ich auch einen Text, der einem Geständnis gleichkam und mir einiges über meine Mutter und auch über mich selbst zu erzählen hatte.
"Sie sind schwanger."
Die Worte meines Gynäkologen rissen mich aus den tiefsten Gedankenstrudeln. Fragt mich nicht, an welchen Karibikstränden ich gerade wieder einmal verweilt habe als die Hiobsbotschaft durch meine Tagträume zu mir durchdrang und mich mit einem brutalen Ruck daraus hervorholte. Die Realität war kein Karibikurlaub, das hatte ich schon oft erfahren. Selbst die zwei Wochen Südseestrand im Sommer waren nicht das, was man sich unter so einem Urlaub vorstellt. Ja, es war warm. 30° im Schatten, da kann man wahrlich nicht meckern. Ja, der Sand war weich und der Strand lang. Das Wasser war keine zehn Fussminuten vom Hotel entfernt. Alles perfekt würde man bis hierher denken. Doch leider war auch alles voll mit Urlaubern wie uns. Überall pflasterten die Touristen die Liegeplätze zu. Handtücher, Sandburgen, Wasserbälle... Und dies waren noch die kleineren Übel. Motorboote im flachen Wasser verhinderten erholsames schwimmen. Jet-Ski-Lärm verhinderte ruhiges in der Sonne dösen. Machosprüche so weit das Ohr hören konnte. Und auch einige der Körper, die sich im heissen Sand rekelten waren alles andere als ästhetisch. Aber selbst dies war noch nicht alles, was deas Paradies, dass es hätte sein sollen zerstörte.
Schwanger - Schlimmer hätte es echt nicht kommen können. Naja, mit einem Problem musste ich mich nicht herumschlagen. Wie oft sah man bereits die Frauen in den Talkshows, wie sie dahockten und erzählten sie wüssten nicht, wer der Vater sei. Ich wusste genau, wer der Vater war. Aber genau da lag dann auch mein weitaus grösseres Problem.
Alleine bei dem Gedanken daran schossen mir, mitten im Angesicht meines Arztes, die Tränen wie ein Sturzbach in die Augen. Ich versuchte mich an anderen Gedanken festzuhalten, beinahe krallte ich mich darin fest, doch es nütze nichts. Der Strom, den die Erinnerungen - vor allem unter dem Hintergrund des neuen Ereignisses - freiliessen, riss mich fort und trug mich quer durch all das Leid, welches ich in jenen vier Tagen erlitten hatte.
Geredet habe ich bis heute mit niemanden darüber, nicht einmal André weiss von seiner Schöpfung. Ich hätte es ihm erzählen können, mit seiner Wahrnehmung hätte er sich später eh nicht erinnern können. Doch ich tat es nicht. Er hat bisher gelebt, als würde er keinen Vater haben. Dass dies nicht stimmt weiss ich nur zu gut. Er hat einen Vater und ich begegne ihm jede Nacht aufs Neue. Niemals wird es enden, bis mein Leben eines Tages beendet sein wird.
An dieser Stelle stockte ich, als ich die Zeilen das erste Mal las. André, das war ich. Meine Mutter sprach hier also von mir und befand sich, als sie sich ihrem Tagebuch anvertraute, in der Erinnerung an jenen Moment, in dem sie erfuhr, dass sie schwanger war - mit mir.
Es kostete mich einiges an Überwindung, doch ich schaffte es, die aufkeimenden Gedankenstrudel wieder hinab in die Tiefe meines Geistes zu verbannen. Ich musste weiterlesen. Nun, nachdem das erste mal mein Name gefallen war, konnte ich nicht mehr ablassen. Von jetzt an würde ich bis zum Ende lesen, egal was sich mir für menschliche Abgründe offenbaren würden.
Vier elend lange Tage...
"Ist Ihnen nicht gut?"
Mein Arzt sorgte sich ehrlich um mich, dass konnte ich aus seiner Stimme heraushören.
"Eine Schwangerschaft ist für viele Frauen im ersten Augenblick ein grosser Schock. Doch das wird sich legen und dann werden sie Freude an dem Leben als Mutter finden."
"Ich weiss, es ist nur..."
Ich sprach nicht weiter. Beinahe hätte ich alles erzählt. Es wollte aus mir herausbrechen wie ein zu lange eingesperrtes Tier, doch ich konnte es gerade noch rechtzeitig zurückhalten. Ich schluckte die aufgekochten Gefühle mit einem lauten Schluchzen herunter. Als ich meinen Kopf hob, blickte ich in seine klaren blauen Augen, die mich fragend und doch voller Geduld anschauten. Er wartete darauf, dass ich meinen Satz vollenden würde, doch das tat ich nicht. Stattdessen versuchte ich das Thema schnell umzuschwenken und entschied mich in die Offensive zu gehen.
"Welcher Monat?", fragte ich mit gesenktem Kopf.
"Anfang dritter. So wie es aussieht wird es ein Herbstkind, dürfte Oktober werden."
Ich hatte es irgendwie bereits gewusst.
Herbst, die dunkle Jahreszeit. Ja, der Winter mag kälter sein, die Tage sogar noch kürzer als im Herbst, doch der Herbst ist dunkler. Wo in der vierten Jahreszeit Schnee die Finsternis durchbricht, da gibt es im Herbst keinen Schimmer, der in einem weissen Glanze inmitten all der Dunkelheit erstrahlt.
"Oktober...", murmelte ich, mehr für mich selbst bestimmt, vor mich hin.
Oktober, der König der Herbstmonate. Wie er da mitten zwischen September und November thront, unberürbar von Sommer und Winter abgeriegelt durch seine Gefolgsleute. Nach alter Legende der schwärzeste Monat des Jahres, es passte einfach.
Wieso passte das? Was hatte denn bitte dies alles mit mir zu tun? Meine eigene Mutter war der Meinung, dass es zu mir passte, dass ich im schwärzesten Monate des Jahres zur Welt kommen sollte, bevor sie mich überhaupt kannte. Wenn einem das nicht zum Grübeln bringt, was dann?
Ich hatte meine Mutter nie wirklich kennengelernt, sie starb, als ich gerade mal zwei Jahre alt war. Meine Tante hat mich aufgezogen, nachdem sie mich in der Berghütte gefunden hatte. Eben jene Hütte, zu der es mich in diesen Tagen zurückgezogen hat. Meine Mutter hatte sie auf gefunden, tot... Sie erzählte mir später sie sei erfrohren, weil sie alle wärmenden Stoffe für mich aufgebracht hatte. Irgendwie glaubte ich ihr nie.
Mein ganzes Leben hatte ich mir gewünscht, wenigstens einmal mit meiner Mutter sprechen zu können. Mein ganzes Leben lang... Doch nun wusste ich nicht, ob ich überhaupt noch erfahren wollte, was für ein Mensch meine Mutter war. Ich war mir nicht sicher, ob ich wissen wollte, was sie weiteres zu sagen hatte. Nein... Ich wusste es. Ich war mir sicher, dass ich es eigentlich lieber nicht erfahren würde, doch der Zwang, die Neugier und der Zwang einfach weiterzulesen waren weitaus mächtiger, als jede Angst vor weiteren Boten des Schreckens, wie meine Mutter über mich dachte.
Vier Tage leid.
Vier Tage später war ich mehrfach misshandelt worden, dem Glauben an Gott und einer guten Freundin beraubt. Doch ich hatte Glück, denn wenigstens war ich am Leben. Marianne hatte es weitaus schlimmer erwischt. Zu Tode vergewaltigt...
Wie sind Menschen zu so einer Tat überhaupt in der Lage? Ich verstehe es nicht und ich bezweifel auch stark, dass ich es jemals verstehen werde. Mir fehlt aber nicht nur das Verständnis für die Psyche eines Menschen, dass er bereit ist so etwas zu tun. Ich begreife es schlichtweg nicht. Verstehen? Ja, dafür wäre Begreifen die erste Grundlage. Doch bereits hier hapert es wie erwähnt bei mir. Und so kommt es mir oftmals immer noch vor wie ein schlechter Traum. Doch die Schmerzen, tief in meiner Seele, verraten mir immer wieder, dass es kein Traum war. Nahezu jeder Tag erinnert mich daran, dass es wirklich und wahrhaftig passiert war.
Meine Mutter misshandelt? Wer hatte eine solche Tat gewagt? Egal wer es gewesen war, wenn er nicht bereits tot war, so würde ich dies übernehmen. Doch um mehr zu erfahren, musste ich weiterlesen. Ich musste, obwohl ein Gedanke in mir keimte, ein Verdacht. War ich die Frucht einer Vergewaltigung?
Habe ich deswegen keinen Vater kennenlernen dürfen? Passte es deswegen, dass ich ausgerechnet im Oktober das Licht der Welt erblicken sollte? Das Tagebuch warf mit jeder Zeile, aus der ich mir Antworten erohoffte, viele neue Fragen auf. Mehr Fragen als Antworten durchquerten meinen Schädel und die Unsicherheit, was mich erwarten würde stieg mit jedem Atemzug. Ich hoffte nur inständig, dass ich nicht der Bastard einer Gewalttat war. Doch um dies herauszufinden gab es nur einen Weg: Gedanken verdrängen, Kopf freimachen, mit allem rechnen und den weiteren verlauf der Zeilen entgegentreten.
Ich sehe die Gesichter der beiden Männer noch vor mir. Ungewaschene, unrasierte, vor allem aber vollkommen unsympathische Gesichter. Wie sie mit ihren Bartstoppeln ihr fieses Grinsen zu verdecken versuchten. Dies gelang ihnen natürlich nicht, denn ihre Bosheit strahlte aus jeder Pore. Ihr Atem roch nach abgestandenem Bier, ihre Augen sprangen einen förmlich an und sprachen Bände über ihre Gier. Gier nach Fleisch, Menschenfleisch, weiblichem Fleisch. Mich wunderte nicht, dass sie sich ihre Befriedigung mit Gewalt holen mussten. Nein, es wunderte mich wirklich nicht.
Vier Tage...
Sie taten es wieder und wieder. Mein Unterleib, oder das was von ihm gefühlsmässig noch übrig war, verfiel mehr und mehr einer andauernden Betäubung. Am letzten Tag spürte ich den Schmerz in meinem Körper schon nicht mehr. Doch der Schmerz in meinem Herzen war sowieso ein weitaus grösserer, als der physische es je hätte sein können. Marianne lag bereits seit einem halben Tag reglos neben mir und das Wissen um ihren Tod manifestierte sich hinter meiner Stirn.
Dann, als ich bereits keinen Funken der Hoffnung mehr in mir trug geschah es: Mein Retter kam in der Nacht durch das Fenster gesprungen. Das Klirren der Scheibe riss mich aus der Ohnmacht, die mich jede Nacht aufs Neue heimsuchte. Nach Stunden des Missbrauchs schläft man nicht ein, man sackt vor Erschöpfung zusammen und verliert regelrecht das Bewusstsein. Vlad, so erfuhr ich später seinen Namen, wirkte auf mich gar nicht wie eine Gestalt aus fester Materie. Wie eine Flüssigkeit glitt er durch die Fensteröffnung und schritt zielstrebig auf meine Peiniger zu. Was dann geschah sah ich eher wie durch den Filter eines Traumschleiers, als dass ich es wirklich erfassen konnte. Heute weiss ich, was damals passiert ist, aber dazu komme ich später. In dieser Nacht wollte ich es wahrscheinlich nicht sehen. Wollte nur sehen, dass ich aus meinem Leid, meinem vier Tage andauernden Leid, befreit wurde. Auf welche Weise war für mich nicht relevant. Heute ist es das, doch damals zählte es nicht. Einzig der feine Schimmer am Horizont des Todes, der Leben versprach wahr von Belang. Deswegen klammerte ich mich an den seidenen Duft der Freiheit, die das Auftauchen von Vlad versprach.
Zwei Tage, so erzählte er mir später, habe er mich gepflegt und sei jede Sekunde an meinem Bett gewesen. Ein Bett, in das er mich gelegt hatte, nachdem er mich aus dem Haus der Brüder gebracht hatte. Zwei Tage, in denen ich eigentlich nur geschlafen habe. Ab und an soll ich aufgewacht sein und bei einem Schluck Wasser unverständliches Zeug gemurmelt haben, bevor mich der Schlaf wieder übermannte.
Nach diesen Zwei Tagen erwachte ich das erste Mal mit einem halbwegs klaren Kopf und einer kleinen Portion Kraft. Ich nahm zum ersten mal bewusst war, dass ich der Hölle, die ich bereits für mein entgültiges Schicksal gehalten hatte, entkommen war. Ich erwachte in einem Himmelbett, welches mit Seidentuch bespannt war. Ich trug nicht die zerfetzte Kleidung, die ich zuletzt getragen hatte. Stattdessen wurde mein Körper von einem Kleid umspielt, welches einer Prinzessin zur Ehre genügt hätte. Ich machte mir keine Gedanken darüber, dass Vlad, mein Eretter, mich, um mir diese Kleidung anzulegen ausgezogen haben musste. Mein Schamgefühl war nach den Tagen, die ich hinter mir hatte bei weitem ein anderes als zuvor. Ich war einfach nur dankbar. "Guten Morgen, meine Schöne." Ich fuhr erschrocken herum. Er stand hinter mir. "Ich hoffe du bist endlich ausgeruht genug um aufzustehen, denn wenn deine Glieder zu lange ruhen, wird es schmerzhaft sie wieder bewegen zu müssen." Ich verstand nicht gleich, doch die Erkenntnis kam schnell. Wozu hatte ich den Beruf der Krankenschwester erlernt? Ich kannte die Problematik von bettlägerigen Patienten genau und kann immer noch, wenn ich mich konzentriere, die schmerzverzerrten Laute jener hören, die nach Wochen des Liegens wieder aufzustehen versuchten.
"Wo bin ich?" Die Frage kam weitaus weniger kraftvoll aus meinem Mund, als ich beabsichtigt hatte. Es war nicht viel mehr als ein verkümmertes Flsütern, ich konnte es selbst kaum hören, doch er hörte es anscheinend, als wären es laute und deutliche Worte gewesen.
"Du bist in meinem Hause. Ich habe dich hierher gebracht, damit du dich von den Qualen und Strapazen der vergangenen Tage erholen kannst." Seine Stimme war ruhig, geradezu beruhigend. Obwohl ich diesen Mann nicht kannte, sorgte allein der Klang seiner Stimme dafür, dass ich ihm sofort vertraute.
"Ich habe kurz etwas zu erledigen," sagte er "ruh dich solange noch ein Wenig aus. Ich bin bald zurück." Sobald er seinen Satz abgeschlossen hatte, fühlte ich mich schlagartig wieder kraftlos und müde. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als seinem Vorschlag nachzukommen und mich auszuruhen.
Als ich wieder erwachte, sass er auf der Kante des Bettes und hielt einen Krug in der Hand.
"Trink dies, es wird dich stärken." Ich nahm ihm das Gefäss ohne weitere Worte ab und leerte es in einem Schluck. Das Getränk schmeckte seltsam, doch ich merkte, wie die Lebensgeister mit jedem Tropfen ihren Weg zurück in meinen Körper fanden. Nachdem ich den letzten Rest aus dem Krug getrunken hatte, stellte ich die Frage, die mich seit dem ersten Moment beschäftigte:
"Wer bist du?"
Die Antwort auf diese Frage interessierte mich auch. Wer immer meine Mutter aus ihrer Situation und aus dem sicheren Tod errettet hatte, ich musste wissen, wer er war. Doch eine Stimme in mir sagte mir, dass es noch nicht an der Zeit war die Antwort zu erfahren. Wie meine Mutter zuvor in ihrem Tagebuch beschrieben hatte, verliessen nun auch mich alle Kräfte mit einem Schlag. Ich fühlte mich kraftlos, ohne Leben. Mein Kopf wurde schwerer, meine Gedanken kreisten um das Buch. Die Schrift verschwamm vor meinen Augen und das Bild wurde schwärzer und schwärzer. Die Gestalt eines Mannes formte sich vor meinem inneren Auge und ich sackte zusammen.
In dieser Nacht hatte ich einen sonderbaren Traum. Wer war dieser Mann, dem ich in meiner Phantasie nachschlich? Ich kannte ihn nicht und doch wirkte sein Äusseres so vertraut auf mich. Ich folgte ihm durch die dunklen Gassen. seit etwa einer halben stunde war ich hinter ihm her, obwohl ich nicht wusste, was ich überhaupt von ihm wollte. Dann, als er um eine Ecke bog verlor ich seine Spur. Er hatte sich scheinbar einfach in Luft aufgelöst.
Kurze Zeit später hörte ich ein paar Strassen weiter einen markerschütternden Schrei. Ich rannte los, gab alles an Fersengeld, was ging. Als ich die Strasse erreichte, aus der der Schrei erklungen war, tat sich meinen Augen das sonderbarste Bild auf, dass ich je gesehen hatte: Der Fremde, dem ich gefolgt war, schien in der Luft zu schweben. In seinen Armen hielt er den Körper einer Frau - nicht liegend auf den Händen, wie Männer Frauen tragen, sondern umklammernd. Sein Gesicht war tief in ihren Hals vergraben und ich hörte ihn schmatzen. Die Frau schien in sich zusammenzuschrumpfen. Da wurde mir bewusst, dass er ihr Blut trank, ja regelrecht aus hier heraus saugte. Als sein Opfer blutleer schien, liess er ihren Körper einfach zu Boden fallen. Doch dort klatschte dieser nicht etwa auf, wie ich es erwartet hätte. Er schien sich in seiner Materie verändert zu haben, denn er wurde kein Stück ge- oder gar zerquetscht durch den Aufprall. Stattdessen zersplitterte er wie Glas und jedes Splitterteil zerfiel weiter in Splitter, bis alles zu staub zerfallen war. Nachdem der Wind den Staub, der einst eine Frau gewesen war, davongetragen hatte, richtete ich meinen Blick wieder auf den seltsamen Mann. Er erwiderte meinen Blick und schaute mir direkt in die Augen. Erst war seine Miene finster, Angst erwachte in meinen Gliedern. Doch der finstere und gierige Blick verformte sich schlagartig und es wirkte, als würde er mich kennen. Nein, als würde er mich erkennen. Seine dunkle Miene mutierte sofort zu einem Lächeln. Das Lächeln wurde breiter, ich konnte seine blutbefleckten Zähne sehen. Er schloss seine leuchtenden Augen für einen Augenblick und als er sie wieder öffnete waren sie rubinrot.
Das ganze wirkte beängstigend, aber auch faszinierend. Dann streckte der Mann mir seine Arme entgegen und raste schwebend auf mich zu. In diesem Moment erwachte ich scheissgebadet mit dem Kopf auf dem Tagebuch meiner Mutter liegend. Ich war am Tisch eingeschlafen.
Es hatte sich also nur um einen Traum gehandelt. Warum aber, bekam ich das Bild des Mannes dann nicht aus meinem Kopf? Die Antwort darauf war in den Zeilen meiner Mutter verborgen, das spürte ich. Und so setzte ich das Lesen fort, noch bevor ich etwas gegessen hatte.
"Mein Name ist Vlad, doch man nennt mich den Pfähler."
Als ich meinen Erlöser so reden hörte musste ich unwillkürlich lachen. Ich prustete richtig los und einige Tropfen des Getränks schossen mir durch die Nase. Ich hielt die Bezeichnung "Der Pfähler" für die Ausgeburt einer Überdosis Selbstbewusstsein eines Obermachos. Anscheinend wollte er damit auf die prächtige Grösse seines Gemächts anspielen. Der Pfähler, wäre wirklich ein toller Name für einen Callboy gewesen, dessen schwanz wie ein Pfahl den Leib einer Frau spaltet. Das dies der Wahrheit aber weiter entfernt war als alles andere erfuhr ich erst später.
Vlad war ein Vampir, DER Vampir, DER Pfähler... Doch das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Moment... Was stand da? Vampir? Ich glaubte nicht an Vampire, und doch setzte sich das Puzzle weiter zusammen. Der merkwürdige Traum und nun diese Wenduig in der Geschichte. Ich würde weiterlesen und glauben, egal was noch kommen würde, ich würde es glauben, weil ich einfach wusste, dass es wahr war.
Hätte ich es gewusst, so hätte ich mich ihm niemals hingegeben. Doch so wie es alles kam und vor allem durch mein Unwissen über seine Vergangenheit verfiel ich seinem Charme.
Er schwängerte mich. Nicht die beiden dreckigen Brüder, die er auseinandergerissen hatte, als er mich befreite. Nein, ihre Taten blieben ohne Frucht. Ungesühnt blieben sie nicht: Vlad zerfetzte ihre Körper, riss sie auseinander wie Papier... Vom Blut getränktes Papier. Nein, ohne Sühne blieben ihre Greueltaten wahrlich nicht, aber ohne Frucht.
Ein Glück, so empfand ich damals. Doch heute weiss ich nicht mehr, ob ich dafür dankbar sein soll. Wäre ich bereits geschwängert gewesen, als Vlad seinen Schwanz in mein Heiligstes rammte, so hätte sein Samen niemals eine Chance gehabt. Dracula persönlich hat mir ein Kind geschenkt. Geschenkt? Ich glaube nicht, dass dies der passende Begriff dafür ist. Eigentlich hat er mir ja eher etwas angetan. Ich möchte aber auch nicht über André reden, als wäre er ein Monster. Er trägt eines in sich, das stimmt und ist unwiderlegbar. In ihm wächst der Samen des Vlad Dracul, wie einst in mir. Er ist das Kind des berühmten Vampirfürsten und ich habe ihn auf diese Welt gelassen.
Vlad verschwandt nach dieser Nacht und ich habe ihn nie wieder gesehen. Doch in meinen Träumen verfolgt er mich, jede Nacht. Und auch in Andrés Augen kann ich ihn erkennen. Es ist, als wäre André er, nur eben um ein vielfaches jünger. Vlad selbst meinte damals, er wäre der letzte seiner Art, doch mit meinem Sohn, seinem Sohn, hat er sich sein Erbe erhalten.
Ich kann mit dieser Schuld an der Welt nicht länger leben, kann sie nicht noch länger mit mir herum tragen. André ist nun zwei Jahre alt. Zwei Jahre, die ich mich mit ihm nun schon hier oben versteckt halte. Zwei lange Jahre des Nachdenkens. Zwei Jahre, die nichts passierte, doch wer weiss, wann das Erbe seines Vaters auch in ihm erwachen wird? Ich werde nun zu seinem Bett gehen und es zu Ende bringen. Er oder ich, nur einer wird weiterleben. Wer von uns, das weiss ich noch nicht genau. Ich werde eine Münze werfen und die Nachwelt wird ja erfahren, wer von uns noch unter ihr weilt.
Was? Ich, der Sohn von Graf Dracula? War mein erster Gedanke. Und doch glaubte ich es sofort. Es ergab Sinn. Warum sonst blieb ich bei jeder grösseren Katastrophe in meinem Leben - nehmen wir doch einfach die Geschichte vor gerade einem Jahr - trotz aller Ereignisse irgendwie immer weitestgehend unverletzt? Wie sagte ich eben noch: Ich glaubte? Nun, da muss ich jetzt wohl dann doch ein Wenig revidieren: Ich glaubte nicht, ich wusste!
Ich weiss, dass ich der Sohn des Pfählers bin. Doch mein Herz sagt mir noch etwas. Ich bin nicht bloss sein Sohn, ich bin er! Meine Mutter hatte nie wieder etwas von ihm gehört, nach der Nacht in der er sie schwängerte. Er gab nicht bloss seinen Samen in sie ab, er steckte all seine Lebenskraft in sie hinein. Danach zerfiel er und starb, nur um durch mich wiedergeboren zu werden.
Was dachten Sie denn, wie Vampire sich über die Jahrhunderte am Leben halten, ohne jemals wirklich alt zu wirken?
Autor: Arne Gabriel
4 Tage die Hörspielversion
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